Die erste Schule für einen Menschen ist das Elternhaus. Es stellt die erste Erziehungseinrichtung dar! Dorthin kehrte er abends ein – oder entfloh:
Ein kleiner Junge im Vorschulalter, der von einer 12 Jahre älteren, ordnungsbesessenen Schwester und einer strengen Mutter erzogen wird, hat es nicht leicht. Kommt er mit dreckigen Holzschuhen ins Zimmer, so setzt es etwas. Bringt er Werkzeug nicht zurück, welches die Mutter anschließend im Garten findet, dann wird gekeift. Beerensträucher dürften im Garten nicht geplündert werden, bevor ihre Früchte gereift sind, usw. usw..

Inhaltsverzeichnis

Die häusliche Erziehung

Eines Tages hat Schwesterchen das gesamte Haus gesäubert. Wie es der Zufall will, haben sich meine Holzschuhe jedoch nicht an die Hausordnung gehalten. Sie blieben einfach an meinen Füßen -lol! Die Handlangerin meiner Mutter verfolgt mich schimpfend: ‚Meine ausgelatschten Holzschuhen klappern die Straße hinunter. Alle paar Sekunden schaue ich mich um. Während sich früher der Abstand zwischen uns Geschwistern langsam verringerte, so bleibt er jetzt erstaunlicherweise konstant. Das gibt mir Hoffnung. Ich mobilisiere alle meine Kräfte, renne so schnell ich kann und halte meinen Mund, während meine Verfolgerin Atemluft für Schimpfattacken verschwendet. Der Abstand vergrößert sich, erst wenig, dann immer mehr, bis Schwesterchen in die Ruhephase übergeht! Dieses Erlebnis kurz vor meiner Einschulung in die Volksschule steigert mein kindliches Selbstvertrauen. Das ist auch nötig, denn unser Hauptlehrer der Volksschule, in die ich bald kommen werde, ist gefürchtet und berüchtigt. Als bewährtes „Fluchttier“ besitze ich ja nun eine Strategie, welche mich getrost in die Zukunft blicken läßt.‘

Die Flucht aus der Volksschule

Obwohl mein Elternhaus nur etwa 100m von der Schule entfernt lag, kam ich oftmals zum Mittagessen nicht pünktlich heim. Das verursachte unser Hautlehrer, der meine beiden Freunde und mich nachsitzen ließ. Dieser zusätzliche Unterricht war ganz kostenlos und förderte die Bildung wie auch die Disziplin. Trotzdem sagte er uns nicht zu. Die Aufsichtführung des Hauptlehrer war lückenhaft: Er mußte zwischendurch seine Hühner füttern, wie er sagte, allerdings dauerte das immer so lange, dass wir annehmen konnten, er esse mit seiner Frau zu Mittag. Uns war es jedenfalls Recht, wenn er für etwa 30 bis 40 Minuten fort blieb. Da er uns mißtraute, schloss er immer die Haupteingangstür der Schule zu. Freiheitsberaubung in Verbindung mit Vernachlässigung der Aufsichtspflicht war damals wohl noch kein Vergehen. Viele Lehrer waren als Kriegsgefangene Opfer ähnlicher Verhaltensweisen geworden. Die vom Lehrer gestellten Aufgaben waren schnell abgearbeitet. Wir beeilten uns weniger aus Pflichtgefühl als vielmehr aus der Hoffnung heraus, in den letzten Minuten der Abwesenheit des Lehrers einen erfolgreichen Fluchtversuch unternehmen zu können. Dabei entdeckten wir bald, dass die Tür zum Heizungskeller unverschlossen war. Unter dem Fenster des Kellers lag ein Haufen Koks, der über einen Schacht durchs Fenster in den Keller geschüttet worden war. Das Fenster war angelehnt, damit Sauerstoff zum Ofen gelangte. Unsere Flucht war kein Problem. Zwei bis drei Male gelang sie auch, dann war der Keller verschlossen. Doch bleiben, bis der Lehrer kam, um von ihm vorschriftsmäßig entlassen zu werden, das wollten wir auf gar keinen Fall. Womöglich hätten wir ihm dafür noch Hochachtung zollen müssen, weil er uns auf die Schliche gekommen war. Das wäre einer bittere Niederlage gleichgekommen. Also stellten wir uns innen vor den Hauptausgang und warteten auf ihn. Bald raschelte sein Schlüsselbund am Türschloss. Der linke Flügel der großen Eingangstür öffnete sich. Horst und Wilfried besaßen einen besseren Start als ich. Sie waren am Lehrer vorbei, bevor dieser die Situation begriffen hatte. Nun stand ich ganz alleine vor ihm. Aufgeben war kein Thema für mich! Ich wollte nicht als einziger die Sache ausbaden und mich zudem an nächsten Tage dem Spott meiner Klassenkameraden aussetzen. Da stand nun dieser riesige Mann mit ausgestreckten Gliedmaßen vor mir und verdeckte fast die gesamte Öffnung von 2m mal 1,50m. Da gab es eigentlich kein Durchkommen mehr. Aber ich lief einfach auf ihn zu. Kurz vor ihm beugte ich meinen Kopf nach unten und schlüpfte durch seine gespreizten Beine. Die Spitzen seiner eisenharten Greifer verspürte ich noch in meinen beiden Gesäßteilen und fühlte, wie sie abrutschten. – Es war so ähnlich wie beim Kampf David gegen Goliath. Der Kleinere hatte gewonnen, weil er schneller und cleverer war. Nur war ich mir nicht sicher, ob Gott ungeteilt auf meiner Seite stand, denn mir unterliefen hernach einige Fehler: Ich triumphierte zu laut und habe mich wohl auch in der Wahl einiger Worte vergriffen. Jedenfalls gab es am nächsten Tage Prügel. So hat sich dann der Lehrer abreagiert. Gelernt haben wir trotzdem Vieles. Außerdem muss festgestellt werden: „Lehrer wie Schüler benötigten damals keinen Therapeuten oder Psychologen, um ihr seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen!“

Die Zugfahrt zum Realgymnasium

Nach dem zweiten Weltkrieg hatten die alliierten Bombergeschwader das Viadukt in Schildesche bei Bielefeld ins Visier genommen. Hier über dem Tale des Johannisbaches führt die fünfgleisige Bahnstrecke zwischen Hannover und dem Ruhrgebiet. Nachschub an Waffen, Munition und Soldaten wurde über dieses Viadukt transportiert. Nach mehreren vergeblichen Angriffen hatten die feindlichen Bomber schließlich mit Hilfe einer Superbombe die mittleren Pfeiler der Überführung fortgesprengt. Nachdem sie neben einem der Pfeiler eingeschlagen war, erschütterte sie das Erdreich so stark, dass nur die äußeren Pfeiler der Brücke stehen blieben. Nach dem Kriege erlaubte eine stählerne Hilfskonstruktion den Güterzügen, das Johannisbachtal zu überqueren. Die Personenzüge mußten weiterhin über eine Nebenstrecke fahren, die man provisorisch eingerichtet hatte.
Nach Kriegsende fuhr ich als kleiner Junge im Vorschulalter mit meiner Mutter über diese Strecke. Ich werde diese Fahrt nie vergessen. Links und rechts der eingleisigen Bahnlinie waren tiefe Bombenkrater zu sehen. Diese waren naturgemäß nicht regelmäßig verteilt, sondern eher statistisch. Demzufolge führte auch die Bahnstrecke keinesfalls geradlinig über das Feld. Sie schlängelte sich um die Krater herum.
Etwa 13 Jahre danach besuchte ich nach der mittleren Reife das Helmholtz-Gymnasium in Bielefeld. Jeden Morgen fuhr ich mit dieser Bahn von Herford nach Bielefeld zur Schule. Die Krater waren zugefüllt – doch die alte kurvenreiche Strecke war geblieben. Das hatte Konsequenzen! Die Dampflock zuckelte gemächlich über die „Gummistrecke“, wie wir sie nannten. Es quietsche und ruckelte erbärmlich. Wenn man keinen Sitzplatz ergattern konnte, sondern an einer der vielen Schlaufen hing, die von der Decke des Wagens herabbaumelten, dann mußte man seine ganze Kraft aufwenden, um nicht gegen eine Inneneinrichtung oder gegen einen Mitfahrer geschleudert zu wurde.
Einen Vorteil gegenüber den heutigen modernen Zügen gab es allerdings: Man konnte den Zug auch dann noch erreichen, wenn er schon abgefahren war. Man lief einfach auf dem Bahnsteig hinter ihm her und sprang dann auf das Holzbrett, das vor jeder Eingangstür angebracht war. Eine zentrale Türverriegelung gab es bei diesen grünen Holzwagen noch nicht. Solch einen Zug erlebt man heute nur noch bei der Museumsbahn, die gelegentlich für Nostalgiker eingesetzt wird. Früher war sie Standart. Die Fahrt von Herford nach Bielefeld dauerte etwa 20 Minuten, doppelt so lange wie heutigentags. Dafür war sie aber viel abenteuerlicher – jedenfalls für uns Schüler. Kk

Geschichten: Meine Memoiren

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